Überlege dir genau, ob du mitfährst
Viele Mädchen freuen sich auf die Ferien und darauf, die Verwandten im Ausland wieder zu sehen. Wenn der Urlaub aber plötzlich kein Ende hat und die Eltern ohne sie nach Deutschland zurückkehren, hört der Spaß auf. Wenn sie bei den Verwandten im Dorf leben oder den Cousin heiraten sollen, wird es sehr ernst.
- Du bist noch in Deutschland.
- Du weißt nicht, was du tun sollst.
- Du machst dir große Sorgen, dass du nach den Ferien nicht mehr nach Deutschland zurück darfst, aber du hoffst, dass alles irgendwie doch gut geht.
- Du möchtest deine Familie nicht verletzen.
- Dir erscheint Weglaufen ein zu großer Schritt zu sein.
Wenn du gegen deinen Willen im Ausland bleiben musst, ist von deinem bisherigen Leben nicht mehr viel übrig, erst recht nicht, wenn du auch heiraten musst! Handle VOR deiner Abreise!
Wenn du erst mal im Ausland bist, ist es nicht leicht, wieder zurück zu kommen.
Riskiere nichts und nimm deine Sorgen ernst!
Das macht dein Risiko größer:
- Deine Familie ist traditionell. Du sollst dir z.B. deinen Mann nicht selbst aussuchen, einen Verwandten/Bekannten heiraten, nicht selbstständig sein, Hausfrau und Mutter werden, …
- Deine Familie ist aktuell nicht zufrieden mit dir, z.B. weil sie findet, dass du ungehorsam bist, „zu Deutsch“ bist, keinen Respekt hast, deinen eigenen Weg gehen willst, …
- Deine Familie weiß, vermutet oder unterstellt dir, dass du einen Freund hast. Aus unserer Beratungspraxis wissen wir, dass dies einer der gefährlichsten Risikofaktoren für eine Verschleppung ist.
- Du hast keinen deutschen Pass oder bist auch Staatsangehörige des Herkunftslandes deiner Familie, so dass ausländisches Recht für dich gilt.
- Es ist keine konkrete Rückkehr geplant, z.B. gibt es keine Rückflugtickets oder deine Familie plant, will langfristig aus Deutschland wegzuziehen.
- Weitere Risikofaktoren: Du bist minderjährig. Im Ausland gibt es viele Verwandte, bei denen du wohnen könntest. Du gehst nicht mehr zur Schule und machst keine Ausbildung.
In diese Fallen solltest du nicht tappen:
- Die Abreise ist sehr dringend. Verwandte im Ausland sind erkrankt, liegen im Sterben oder brauchen dringend deine Unterstützung.
- Deine Familie verspricht hoch und heilig, dass du zurück darfst. Es gibt ein Rückflugticket und es wird „auf den Koran“ geschworen, dass du nicht im Ausland bleiben musst.
Erkennst du dich und deine Familie wieder? Denkst du, dein Risiko ist groß? Dann sorge dafür, dass du in Deutschland bleibst! Auch ein Rückflugticket ist kein Garant für eine sichere Rückkehr!
Wie du eine Abreise verhindern kannst
- Sag Nein! Versuche, deiner Familie klar zu sagen, dass du nicht mit ins Ausland fahren willst. Das wird für dich nicht einfach sein, aber du darfst nicht vergessen, was auf dem Spiel steht.
- Wenn du dich nicht traust, dich offen gegen deine Familie zu stellen, erfinde einen Grund, um nicht mitfahren zu müssen, wie z.B. du musst ein Praktikum machen, wirst krank oder brauchst dringend ärztliche Behandlung.
- Manchmal nützt das alles aber nichts und die Familie nimmt dich nicht ernst. Dann musst du dir überlegen, ob du abhauen und deine Familie verlassen willst. Mach dir klar, dass eine Trennung nicht auf Dauer sein muss. Wenn du in eine Mädchenzuflucht oder ein Frauenhaus gehst, verhinderst du deine Ausreise auf jeden Fall. Du gewinnst Zeit, kannst nachdenken und kannst von einem sicheren Ort aus Kontakt mit deiner Familie aufnehmen und überlegen, wie es weitergehen soll.
- In letzter Minute kannst du auch noch am Flughafen die Polizei rufen oder dem Sicherheitspersonal sagen, dass du nicht freiwillig ausreisen willst. Die Polizei kann dich vor Ort in Schutz nehmen und dich in einer Zufluchtstelle unterbringen.
Deine letzte Chance, wenn du doch fährst
Wenn du dich trotz des Risikos entscheidest, mit deiner Familie ins Ausland zu fahren, dann triff vor deiner Abreise Vorsichtsmaßnahmen für den Notfall!
1. Vertraue dich jemandem an
Jemand sollte wissen, dass du dir Sorgen machst. Sprich am besten in der Schule (Lehrer:in, Schulsozialarbeiter:in), am Arbeitsplatz (Ausbilder:in) oder im Jugendamt über deine Befürchtungen. Wenn dir keine Erwachsenen einfallen, denen du vertraust, sprich zumindest mit einer Freundin oder einem Freund! Nimm nicht einfach ein Familienmitglied oder eine Person, die deine Familie kennt, sie könnten im Ernstfall unter Druck gesetzt werden.
Folgendes sollte deine Vertrauensperson wissen:
- wann deine Familie plant, aus dem Urlaub zurück zu kommen
- deine Adresse im Ausland
- wie man dich erreichen kann z.B. deine Handynummer und/oder E-Mail-Adresse
- dass sie sich an uns unter verschleppung@papatya.org wenden kann, wenn sie sich Sorgen um dich macht oder wenn du nicht wie geplant zurück kommst
- Verabrede ein Codewort mit deiner Vertrauensperson. So kannst du ihr verdeckt mitteilen, wenn sich deine Befürchtungen bewahrheitet haben.
- Gib deiner Vertrauensperson vor deiner Abreise deine Aufzeichnungen (siehe Punkt 2), deine gesicherten Dokumente (siehe Punkt 3) und deine ausgefüllten Formulare (siehe Punkt 4).
2. Schreib deine Situation auf
- Wie heißt du, wann bist du geboren?
- Wie lautet deine Handynummer und/oder E-Mail-Adresse?
- Wann verreist du und wohin? Wann ist der geplante Rückflug?
- Bei wem wirst du voraussichtlich wohnen? (Namen und Adresse)
Schreib außerdem auf, was du befürchtest:
- Wovor hast du Angst?
- Wieso denkst du, dass du im Ausland gegen deinen Willen verheiratet oder zurückgelassen werden könntest?
- Was ist passiert oder was denkst du wird passieren?
- Welche Alarmzeichen hast du gesehen oder gehört?
3. Kopiere und sichere deine Dokumente
Falls dir im Ausland deine Dokumente weggenommen werden, können Kopien von großem Nutzen sein. Behalte diese Ersatz-Dokumente heimlich bei dir und hinterlasse sie auch bei deiner Vertrauensperson.
Kopiere, scanne oder fotografiere deinen Pass, deine Aufenthaltserlaubnis (wenn auf dich zutreffend) und dein Flugticket.
Speichere deine Dokumente online. Viele Anbieter bieten gratis Online Speicher (z.B. OneDrive von Microsoft, GoogleDrive von Google, iCloud von Apple oder Dropbox) oder nimm deine Dokumente auf einem USB-Stick gespeichert gut versteckt mit.
4. Hinterlasse eine Vollmacht und eidesstattliche Versicherung
Fülle die hier downloadbaren Formulare aus und hinterlasse sie für alle Fälle unterschrieben bei deiner Vertrauensperson.
Wenn du im Ausland festgehalten wirst, kann eine bereits unterschriebene Vollmacht für eine Rechtsanwältin nützlich sein. Damit kann sie dich in deinem Namen vertreten und eventuell rechtliche Schritte für dich einlegen.
Formular „Vollmacht“
Falls es zu einem Gerichtsverfahren kommt, wirkt die eidesstattliche Versicherung anstelle einer persönlichen Aussage von dir. Schreibe deshalb so genau wie möglich deine Situation und Befürchtungen auf.
Formular „Eidesstattliche Versicherung“
5. Schaff ein Prepaid-Handy an und nimm Geld mit
Für dich kann es lebensrettend sein, dass du jemanden anrufen kannst.
Besorge dir ein Extra-Handy (Sim-lock frei), damit du aus dem Ausland anrufen kannst und verstecke es für den Fall, dass dir dein eigenes Handy weggenommen wird.
Wenn du Geld bei dir hast, kannst du damit ein Taxi, den Bus oder im Internetcafé bezahlen.
6. Schreib dir die Adresse der deutschen Botschaft auf
Wenn du einen deutschen Pass hast, ist die deutsche Botschaft für dich zuständig. Aber auch, wenn du einen gültigen Aufenthalt in Deutschland hast oder hattest, kann sie hilfreich sein.
Finde heraus, welche deutsche Auslandsvertretung deinem Ort am nächsten ist (siehe Liste des Auswärtigen Amts) und schreibe dir Adresse, Öffnungszeiten, Telefonnummer und E-Mail-Adresse auf. Du kannst dir mit einem Routenplaner die kürzeste Route dorthin heraussuchen.
Gehe niemals spontan zu einer Botschaft. Die Botschaft braucht immer Zeit, um deinen Fall zu bearbeiten und eventuell Ersatzpapiere zu beschaffen. Versuche zuerst telefonisch oder per E-Mail Kontakt aufzunehmen.
7. Lass dich beraten
Wenn du weitere Fragen hast oder noch immer unsicher bist was du jetzt tun sollst kannst du jederzeit mit uns Kontakt aufnehmen und dich beraten lassen.